Hilfe, mein Kind ritzt sich –  wenn die Seele rote Tränen weint…
  • Trägt Ihr Kind auch bei warmem Wetter immer langärmelige Kleidung oder lange Hosen?
  • Weigert es sich, an den Strand oder ins Schwimmbad zu gehen?
  • Vermeidet ihr Kind den Sportunterricht?
  • Schließt es sich in seinem Zimmer oder im Badezimmer ein und zeigt insgesamt ein verändertes Rückzugsverhalten?

ACHTUNG: Dann könnte es sein, dass sich ihr Kind ritzt oder andere Formen selbstverletzenden Verhaltens zeigt.

Kinder und Jugendliche sind meist wahre Meister im Verstecken und Vertuschen von Selbstverletzendem Verhalten – die oben genannten Verhaltensweisen sollten aber in jedem Fall Ihre Alarmglocken schrillen lassen. Sie können, müssen aber nicht, Anzeichen für Selbstverletzendes Verhalten sein.

Was ist selbstverletzendes Verhalten?

Der Begriff des Selbstverletzenden Verhaltens beschreibt alle Handlungen, bei denen es zu einer absichtlichen Schädigung der Körperoberfläche kommt. Die häufigste Form Selbstverletzenden Verhaltens (SVV) ist das Beibringen von Schnittverletzungen. Dabei werden alle möglichen scharfen oder spitzen Gegenstände benutzt: Messer, Rasierklingen, Scherben, Fingernägel, Nadeln, Zähne…Aber auch Verbrennungen mit Feuerzeug, Zigarette, Bügeleisen etc. und Verätzungen und das Schlagen von Armen und Beinen oder dem Kopf gegen Gegenstände und Kanten, um sich selbst zu schaden, kommen vor.

Warum tut mein Kind sich das nur an?

Für Sie als Eltern ist Selbstverletzendes Verhalten Ihres Kindes wahrscheinlich der größte Horror. Fast alle Eltern fühlen sich angesichts des SVV hilflos und ohnmächtig und die Frage nach dem Warum taucht sofort als erstes auf. Dies oft verbunden mit der zweiten Frage, was man als Eltern falsch gemacht haben könnte, um so etwas Schlimmes auszulösen.

Die Ursachen für SVV sind vielfältig. Insgesamt geht es darum, durch das SVV inneren Druck und Spannung abzubauen oder ein Gefühl der Leere und Taubheit durch Schmerz zu füllen. Das SVV gibt den Kindern und Jugendlichen das Gefühl, Kontrolle zu haben und führt zu kurzfristiger Entspannung. Sowohl Druck, als auch Taubheit und Leere können aus vielen Gründen entstehen. Angefangen bei dem Gefühl, abgelehnt zu werden, wenig Selbstwertgefühl, Problemen in der Familie, Liebeskummer, Mobbing bis hin zu Misshandlung und emotionalem oder sexuellem Missbrauch. Praktisch alle Belastungen können dazu führen, dass es zu SVV kommt.

Selbstverletzendes Verhalten ist als eine Art Bewältigungsstrategie zu verstehen.

Oft ist es also so, dass die Kinder und Jugendlichen im SVV die subjektiv einzige Möglichkeit sehen, die zugrundeliegenden Probleme und schlechten Gefühle zu kompensieren. Insofern ist SVV zunächst als Indikator für Probleme, Konfliktstellen und unzureichende Bewältigungsmechanismen zu interpretieren. Das SVV kann aber auch im Gefolge einer psychischen Erkrankung des Kindes oder Jugendlichen auftreten – hier besonders oft im Zusammenhang mit Depressionen oder Angststörungen und auch im Zusammenhang mit der Borderline-Störung.

Manchmal ist das SVV auch nur der Versuch, sich für eine bestimmte Gruppe in der Schule interessant zu machen, Nachahmung oder einfaches Ausprobieren. Es gibt leider tatsächlich so etwas wie einen „Trend“ zum Ritzen.

Was kann ich tun, wenn ich den Verdacht habe oder entdecke, dass mein Kind sich selbst verletzt?

Ganz wichtig: Geraten Sie bitte nicht in Panik. SVV bedeutet nicht, dass Ihr Kind selbstmordgefährdet ist oder etwas sehr Schlimmes dahinterstecken muss.

Aber: Betrachten Sie es als Aufforderung, etwas zu tun und etwas zu verändern. Denn es ist wichtig, dass langfristig die Ursache für das SVV bearbeitet und so behoben wird. Suchen Sie das Gespräch. Dieses erste Gespräch mit Ihrem Kind über das SVV ist entscheidend. Vorwürfe, intensives Nachbohren, wenn Ihr Kind nicht antworten möchte, Verbote, Strafen etc sind nicht sinnvoll. All das erzeugt nur neuen Druck und verschlimmert somit die Situation.

Falls Ihr Kind Ihnen erklärt, dass die /der Soundso und Soundso etc auch ritzen, können Sie gemeinsam versuchen, herauszufinden, was die besagten Mitschüler oder Freunde so interessant macht und das Ritzen so spannend. Vielleicht reichen Ihre gemeinsamen Gespräche schon völlig aus, um das SVV langfristig überflüssig zu machen. Aber: behalten Sie die Situation Ihres Kindes gut im Blick und reagieren Sie sofort, wenn das SVV wieder auftritt. Dann braucht es professionelle Hilfe.

Falls Sie im Gespräch merken, dass Sie nicht weiterkommen und keine Ursache erkennen können oder aber Ihr Kind das Gespräch komplett verweigert, dann sollten Sie sich professionelle Hilfe suchen. Auch wenn sich ernste Themen als Ursache andeuten, sollten Sie in jedem Fall einen Therapeuten in Anspruch nehmen. Studien zeigen, dass SVV in der Therapie gut behandelbar ist.

Ziel einer Therapie muss immer sein, die zugrundeliegenden Ursachen zu bearbeiten und alternative Bewältigungsmechanismen zum SVV zu erarbeiten.

Fazit: In Panik zu verfallen ist nicht nötig und nicht hilfreich. Aber es ist nötig, zu handeln und die Situation gründlich in den Blick zu nehmen.